Ö 2008 | 85 Minuten | Originaldrehbuch | Buch & Regie: Cajetan Jacob | Produktion: Bettina Hutterer
Hurenkarussell SynopsisHistorische HintergründeHurenleben 1900Bordell und StraßeSyphilis - Aids von damalsArtworkBesetzungIn weiteren RollenFilmemacherErinnerungen an HurenkarussellPremiereAusgewählte Festival TeilnahmenFestival Spotlite: Hoboken International Film Festival 2008Zahlen, Daten, FaktenPublikationen zum Film
1905: In einer kleinen Stadt irgendwo in der Donaumonarchie blühen Syphilis und Prostitution. Das Anschaffen ist zwar offiziell verboten, aber die Zuhälter haben einen Weg gefunden, die Gesetze zu umgehen. Kinder laufen durch die Straßen und verrichten Kuppler Dienste.
Mitten im Sud der Nacht befindet sich Marie, eine junge Prostituierte, die in diesem Milieu leben gelernt hat. Sie wohnt mit ihrer schwangeren Kollegin Grete und ein paar weiteren Huren im Mietbordell am Rande der Stadt. Maries Begegnung mit Freiern hat viele Gesichter: Stadtbekannte Lebemänner, ein alter Mann, der ihr Kuchen von seiner Frau mitnimmt und Graf Albin, ein vornehmer Herr mit dem ganz offensichtlich etwas nicht stimmt.
Bevor Marie mit ihm schläft, muss sie ein Haarband um ihren Oberschenkel binden. Als sie den Grafen tags darauf beim Einkaufen trifft, hat er seine 12jährige Tochter bei sich. Die kleine Anna trägt das Band vom Vortag im Haar und hat Angst vor ihrem Vater. Vom Schicksal des Mädchens tief berührt, stellt Marie Nachforschungen an.
Das Anschaffen ist zwar offiziell verboten, aber die Zuhälter haben einen Weg gefunden, die Gesetze zu umgehen. 12 jährige Kinder laufen durch gewisse Viertel und verrichten Kupplerdienste. Politik, Bürgertum und Exekutive drücken dabei gerne ein Auge zu und belohnen sich gegenseitig mit Lizenzen für öffentliche Häuser. Nur in Ausnahmefällen wird eingegriffen und eine Prostituierte abgeschafft. Ist das der Fall, bekommt sie Stadtverbot und einen genau zu erfüllenden Marschbefehl. Die Zeitung kann dann in ihrem Bericht vom rigorosen Durchgreifen rechter Kräfte schwärmen und dem moralischen Empfinden ist zumindest nach außen hin Gerechtigkeit widerfahren. Das Milieu der Stadt ist in Wahrheit aber jedem bekannt und teilt sich auf in geheime und gemeldete Prostituierte. Die Gemeldeten müssen sich täglich untersuchen lassen, aber was für eine Farce ist diese Untersuchung! Auf einen völlig überforderten Arzt und ein paar Schwestern kommen ungleich mehr Prostituierte, die sich unter widrigsten hygienischen Umständen untersuchen lassen müssen. Natürlich lassen die Folgen in Form der rasant ansteigenden Geschlechtskrankheiten nicht auf sich warten.
Eine Zeit wird erst dann wieder lebendig, wenn auch die kleinsten Dinge den Alltag der Filmfiguren widerspiegelt. Das fängt bei den kargen Straßenszenen mit Krücken, alten Stiefeln und schweren Mänteln an, nimmt seinen Weg durch die vornehme Gesellschaft flanierender Herren und endet im Jugendstilbordell mit Schminksachen und anderen Kleinoden. Die Atmosphäre beherrschte ein Duft von Nelken, Rosen, Bittermandel, Moschus und Lavendel. Ein Sinne raubender Cocktail, den man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Den Huren von damals hing eine gewisse Andersartigkeit, eine Faszination des Fremden und Verruchten an. Im Zeitalter der Hysterie, der sexuellen Verdrängung war gerade das Leben der feinen Bürger von Erotik aufgeladen. Franz von Bayros schuf seine weltberühmten, erotischen Grafiken, Gustav Klimt setzte der Schönheit weiblicher Formen ein Denkmal und Kokoschka ließ sich eine lebensnahe Puppe nach dem Vorbild von Alma Mahler anfertigen.
Für die einen war es eine französische, für die anderen eine italienische, oder gar eine russische Krankheit. In Wahrheit hat schon Hippokrates ihre Symptome beschrieben. Von den wuchernden Gewächsen nach dem Geschlechtsakt bis zum Schwinden von Rückenmark oder progressiver Paralyse liegt meist ein langer Weg, der sich über drei Phasen spannt. Als man 1900 herausfand, dass der Erreger von Syphilis Temperaturen von über 41 Grad nicht überleben konnte, infizierte man Patienten absichtlich mit Malaria. Eine Verzweiflungstat, wenn man die erheblichen Folgen dieser Behandlung bedenkt. 1909 kam endlich durch Doktor Paul Ehrlich "Salvasan", ein wirksames, aber arsenhaltiges Mittel auf den Markt. Heute wird die Syphilis mit Antibiotika behandelt und ist im ersten und zweiten Stadium heilbar. Im dritten Stadium bleiben oft Spätschäden. Bekannte Opfer waren angeblich Christopher Columbus, Franz Schubert, Friedrich Nietzsche, Al Capone, Paganini, Gaugin, Goya und Hugo Wolf.
von Bettina Hutterer nach den szenischen Vorgaben von Cajetan Jacob aus seinem Drehbuch "Das Falsche Herz."
Rolle | Biografie | |
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Marie | Magdalena Kaim | Schauspielerin, Gießen, Marburg, 2001 - 2003 privater Schauspielunterricht. Schauspiel und Improtheater in Gießen und Marburg, zahlreiche Haupt- und Nebenrollen in freien Theaterproduktionen, Ensemble-Leitung, Businesstheater. |
Graf Albin | Walter Ludwig | Ausbildung als Schauspieler am Konservatorium der Stadt Wien. Berufliche Stationen waren u.a. das Volkstheater Wien, Volkstheater München, Burgtheater Wien |
Anna | Heike Kotsios | Die damals 14jährige Heike wurde von Cajetan Jacob im Alter von 12 Jahren entdeckt und zum Casting eingeladen.Ihr Ausnahmetalent zeigt Heike in den anspruchsvollsten Szenen des Films. |
Schwangere Hure | Maja Makowski | Maja Makowski spielte bisher in zahlreichen Off-Theaterprojekten und mehreren Kurz- und Langfilmen mit. In Deutschland läuft derzeit ihr erster Kino Langfilm "Slasher" im Kino. |
Kitty, Prostituierte | Christine Renhardt | Christine Renhardt ist geboren und aufgewachsen in Wien. Schauspiel- und Gesangsausbildung in der Schauspielschule Krauss. Engagements im Theater in der Josefstadt, Theater an der Wien, Stadttheater Klagenfurt usw |
Dora, Prostituierte | Elke Pusl | Elke Pusl studierte mehrere Jahre im Strasberg Institute in Los Angeles und arbeitete dort als Schauspielerin bei Film und Fernsehen. Zurück in Deutschland spielt sie hauptsächlich Theater. |
Funktion | Name | Biografie |
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Drehbuch, Schnitt, Regie | Cajetan Jacob | Als Vieldenker und Langsamschreiber bereitet Cajetan Jacob seine Filme minutiös genau vor und liegt viel Wert auf Besetzung und Bildsprache. Er recherchiert of viele Jahre, ohne eine Zeile zu schreiben und versucht sich ganz in die jeweilige Zeit und in die Figuren hinein zu versetzen. |
Produktion, Ausstattung, Bauten, Kamera | Bettina Hutterer | Bettina Hutterer ist zwar Kulturschaffende, unabhängige Produzentin und Gründungsmitglied von GRUPPE:filmkunst, aber eigentlich ist sie viel mehr als das: Sie kümmert sich um das Produktionsdesign, führt die Kamera und arbeitet eng an allen Details der Produktion mit. |
Ton | David Walter | David Walter absolvierte die SAE in Wien und arbeitet seit dem in der Film und Fernsehbranche und im Tonstudio von Sony BMG. |
Cajetan Jacob erinnert sich an die Dreharbeiten: Mich hat vor allem einmal interessiert, einen Film zu drehen, der auf das reine Beobachten und nicht auf eine moralische Bewertung hinausläuft. Einfach mal den Alltag zu zeigen, so wie er ist. Mit Wäschewaschen, gemeinsam Kartenspielen, dem Sex, den Freiern und den Huren. Letztere haben einander als soziale Bezugspunkte, weil sie sonst emotional krepieren würden. Hurenkarussell zeigt das gut in jenen Szenen, in denen echter Zusammenhalt bewiesen wird. Dann erzählt der Film die Geschichte der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Anna und Marie. Über Hurenkarussell wurde seit seinem Erscheinen viel geredet. Mir ist sogar einmal zu Ohren gekommen, dass er es in die hohen Weihen universitärer Wissensvermittlung geschafft haben soll. Angeblich soll er Sexualtherapeuten in Ausbildung gezeigt werden. Man kann zweifellos viel über die Figuren im Film sprechen. Über ihre Triebe, ihre Abhängigkeiten und Instinkte. Am Ende beobachte ich aber nur. Das war mein Konzept: Es soll das Publikum wie eine gemeine Stubenfliege in ein Bordell verschlagen. Einfach so, wie durch ein Fenster. Dort bleibt es dann und schaut zu und bildet sich seine Meinung.
Cajetan Jacob mit Magdalena Kaim (Marie) und Maja Makowski (Grete, die schwangere Hure)
Persönlich hab ich viel aus dem Film mitnehmen dürfen. Er hat mir mein Handwerk beigebracht. Trödle nicht herum, mach keine großen Sachen… Es ist schon gut genug, wenn du zum Punkt kommst und dir die Schauspieler dorthin folgen. Die visuelle Grundstimmung habe ich gemeinsam mit Bettina Hutterer im Laufe vieler Jahre gemeinsam erarbeiten dürfen. Bettina hat viel gezeichnet und wir haben viel darüber diskutiert, was überhaupt machbar war. Das digitale Kino steckte ja noch in den Kinderschuhen und die Arbeit mit den damals noch relativ einfachen, leistbaren Kameras war besonders fordernd. Kein Vergleich zu heute. Bei Hurenkarussell hieß es: Bewegung... Schnitt... Bewegung... Sehr viel Bewegung im Bild, die es galt richtig einzufangen. Einzelne Szenen waren eine große Komposition aus diesen Bewegungen.
Besonders stolz bin ich auf meine Zusammenarbeit mit der jungen Heike Kotsios, die ich mit ihren zwölf Jahren in einem Einkaufszentrum entdeckt habe. Wir haben auf Augenhöhe miteinander gearbeitet und was sie damals noch nicht über das Thema wissen konnte, hat sie geahnt. Ahnen heißt Spüren mit Verstand. Das war dann auch ihre Art zu spielen.
Ich denke auch an alle anderen Darsteller gerne zurück. Es sind damals Freundschaften entstanden. Soweit ich weiß, sind bis jetzt noch alle ihrem Beruf und ihrer Berufung treu geblieben. Über Magdalena Kaim möchte ich noch folgendes Erlebnis berichten: Es war ungefähr in der Mitte der Dreharbeiten. Statisten und Schaulustige waren anwesend. Wir hatten gerade mit dem Umbau für eine neue Einstellung zu tun, da kam ein Zuschauer zu mir, der mir zu meiner Besetzung gratulierte und meinte: „Diese Frau da, die muss die Hauptdarstellerin sein, denn selbst nachdem alle fertig waren, hat sie immer noch ihre Rolle im Gesicht mit sich herumgetragen.“ Er hat es gut beschrieben. So war Magdalena.
Anlässlich der Österreich Premiere kommt nahezu das gesamte Ensemble noch einmal zusammen und präsentiert den Film im gerammelt gefüllten Kino Seewalchen am Attersee. Bild 1: Von links nach rechts: Magdalena Kaim, Cajetan Jacob, Walter Ludwig, Heike Kotsios, Christine Renhardt, Elke Pusl, Hannes Liebmann und Gunther Lieder. Bild 2: Tags darauf ein ähnliches Bild nur im kleineren Rahmen. Der Film wurde im Frauen und Mädchenzentrum "Die Insel" in Scharnstein vorgeführt.
Gegründet 2005, ist das Hoboken International Film Festival seit einigen Jahren längst nicht mehr das, was sein Name vermuten lässt, nämlich in New Jersey beheimatet. Aufgrund des großen Zuspruchs (Fox & Time Warner bewerben es etwas übertrieben als“One of the 10 biggest film festivals in the world”) hat es den Sprung über den Hudson River geschafft und befindet sich jetzt in Middle Town New York. Gründer und Chairman ist der New Yorker Richter, Autor und Filmemacher Kenneth del Vecchio. Hurenkarussell wurde als "The Broken Circle" einem interessierten, amerikanischen Publikum vorgestellt. Mit für österreichische Verhältnisse kaum vergleichbarem Aufwand wurden Teile des Pier A Parks in Hoboken in eine Festival Landschaft verwandelt. Die Schutzherrschaft übernahm das dortige Police Department. Als Auflockerung wurden Stand Up Comedians engagiert - ganz so wie man es von amerikanischen Festivals gewohnt ist. Als Stargast konnte u. a. der aus Sidney Lumets Kultfilm "Dog Days Afternoon" bekannte, Oscar nominierte Schauspieler Charles Durning (1923-2012) gewonnen werden. Es mangelte aber auch sonst nicht an Prominenz. "Weißt du eigentlich, wer der Mann ist, der da mit dem Cowboy Hut neben dir steht?", fragte Produzentin Bettina Hutterer, den ebenfalls anwesenden Regisseur Cajetan Jacob. "Das ist der Cowboy von den Village People. Du weißt schon: YMCIA!" Die vom Kultur Land Oberösterreich unterstützte Reise war voller Eindrücke und zeigte den damals noch jungen Filmemachern, wie weit man mit einer guten Geschichte und einem ansprechenden Ensemble kommen konnte: Nämlich an die Küste von Manhattan!
Lauflänge | 85 Minuten |
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Drehformat | DVCPro HD 720p / 25p |
Vorführformat | Blue ray |
Untertitel | .de .eng / übersetzt von W. Dalasera |
Produktionsland | Österreich |
Produktionsjahr | 2008 |
Drehorte | Scharnstein, Obertalheim, Schörfling am Attersee |
im Studio | GRUPPE:filmkunst Studio, Schörfling am Attersee |
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29|08|2007 Der Standard Rottenbergs Panorama
Thomas Rottenberg, DER STANDARD Printausgabe, 29.8.2007) Filmen wider den Zeitgeist Das Gegenteil von MTV: Cajetan Jacobs "Hurenkarussell"
Sichtungslink: https://www.derstandard.at/story/3013561/filmen-wider-den-zeitgeist
29|07|2011 fakeshemp.net Australischer Blog Review "Hurenkarussell" An honest and fairly accurate portrayal of the sex trade in those times and its filmed really cleverly. Sichtungslink: https://www.fakeshemp.net/reviews/hurenkarussell